Schmer:
Auch wenn ich jetzt möglicherweise
Legionen von Vegetariern an den Hals
bekomme.
Es ist Winter und zu dieser Jahreszeit
wird auf den Bauernhöfen in den Dörfern
Thüringens geschlachtet.
Früher wie heute eine existenzielle
Tradition
und auf den meisten Höfen ein großes Fest.
Wer jemals auf einem Bauernhof arbeitete,
stundenlang Steine vom lehmigen Feld gelesen hat,
Rüben per Hand aus dem Boden zog
und mit Axt oder Riesenmesser das Kraut von der
Rübe köpfte,
weiß warum.
Erntedank.
Zutiefst verinnerlichte Verneigung vor Natur und
Kreatur.
Essen, zu essen haben, wenn draußen unter Schnee und Eis
nichts mehr wächst.
Großvater war sommers 10 bis 12 Stunden pro
Tag Zimmermann,
Steinbruch- und Ziegeleiarbeiter, am abend Bauer im
Nebenerwerb.
Mit nur Müsli im Magen wäre das nicht drin gewesen
und Hobby war Freizeitbauer damals
nie.
Schmer ist das reine Bauchfett vom gesunden
Schwein.
Da ist komprimiert alles drin, was
Wärme erzeugt, Energie aufbaut und lange
(vor)hält.
Heute ein sogenanntes Abfallprodukt,
auf dem der Metzger meistens
sitzenbleibt,
weil in industrialisierter Zeit kaum jemand
mehr danach fragt.
Gibt es auch ohne Schwein, künstlich halt,
dadurch billiger in der Erzeugung
und in jedem
Powerriegel.
Auf dem kleinen Bauernhof
meines Großvaters war Schmer kein
Nebenprodukt.
Es kam in die Wurst.
Man konnte mit Schmer Anbraten und Kochen,
rissige Hände pflegen und Hämoriden
behandeln.
Die Wagenräder wurden damit geschmiert,
die Häckselmaschinenkurbel, das Riemen - und
Seilzeug.
Stiefel und Schuhe
wurden durch das Fett weich & wasserdicht
und hielten länger.
Hühner fraßen es gern und legten größere Eier,
wenn es bei winterlicher Zufütterung mit Körnern und
Eierschalen (Kalk) vermengt war.
Schmer brannte in Lampen mit Docht oder mit
Honigwachs
und Talg vermischt als - verdauungsbeschwerdefrei -
essbare Kerze.
Selber (heimlich) ausprobiert in
Kindheitstagen.
Eben alles ein sinnvoller,
natürlicher Kreislauf.
Artgerecht und nachhaltig gab es damals schon,
auch wenn es noch keine überstrapezierten Wörter
dafür hatte.
M e i n Speckfett zelebriere ich
alladventlich.
Reverenz und Erinnerung an Großvaters Frau.
Große Zermonie in kleiner Küche.
Topfdeckelgeklapper, Bratduft, Kerzen,
Tee in schöpferischer Unordnung + gute Musik.
Brahms, ziemlich laut.
Beifuss im Fett 2012 die einzigste
Kräuterkomponente.
Selbst gepflückt im Sommer, noch unaufgeblüht von
ungedüngt, autoabgasfreiem Feld.
Mühevoll entblättert, auch die kleinen Schosser und sorgfältig
an einem luftigen Ort aufgehängt
und getrocknet.
Beifussblatt wird bitter, wenn man es kocht oder in
Fett erhitzt.
Es sind die kleinen, unaufgeblühten
Rispen,
die mit ihrem unbeschreiblichen Aroma Bratkartoffeln,
Gänsebraten oder eben dem Speckfett die ganz
individuelle Nuance geben.
Lorbeer geht als dominierende Geschmacksvariante
auch,
Majoran, Oregano, Rosmarin.
Fast jedes Gewürz solo oder ein Mix aus allem.
Man kann sich das Schweineschmer
unmittelbar
vom Bauer besorgen oder das schon portionsweise
abgepackte Schweine s c h m a l z aus
dem Supermarkt.
Ich bevorzuge erstere Variante.
Bevor man das Fett, also den Schmerklumpen im Topf
erhitzt
und flüssig werden läßt, sollte man sich vergewissern,
dass a u s r e i c h e n d und g e e i g n e t
e Behältnisse
aus Ton oder Glas für das Endprodukt Speckfett
in G r i f f n ä h e zur Verfügung
stehen.
Gründlich gesäubert,
trocken und raumtemperaturerwärmt.
Es gibt Leute, die haben v e r s u c h t das
zuviel erwärmte,
noch flüssige Fett situationsüberfordert per
Küchenspüle oder
in der Toilette zu entsorgen.
Variante 1 erfreut den Klempner und
keinesfalls einen Vermieter.
Variante 2 spritzt erst gewaltig, knallt
richtig laut und
erfordert ggf. Notarzt und ein neues
Toilettenbecken,
für welches keine
Versicherung löhnt.
D u f t e n d e n Speck, demzufolge auch
dieser vom Bauernhof,
in kleine Würfel schneiden und in großzügiger
Pfanne
l a n g s a m braun werden lassen.
Kurz vor optimaler Bräune und bevor die Küche
dunstdunkelblau ist,
die zuvor von den Stengeln gelösten Beifussrispen
der Pfanne beigeben, damit das Aroma des Beifusses sich öffnen
und mit dem ausgelassenen Speck vereinen kann.
Erst dann die feingeschnittenen Zwiebeln
ebenfalls der Pfanne beigeben und wenn diese bräunlich werden,
gaaanz kurz den vorher geraspelten Apfel
dazu.
Kein Salz, im Speck ist welches und wer es deftiger
mag,
kann beim Verzehr nach eigenem Gutdünken
nachwürzen.
Den ausgelassenen Speck
samt dem ebenfalls knusprigen Beifuss und
der gebräunten Zwiebel
aus der Pfanne in die bereitgestellten Gefäße
füllen.
Inzwischen ist auch das Schmer flüssig geworden
und kommt ebenfalls dazu.
Wer ganz clever sein möchte
und falls das verwendete Gefäß über einen Deckel
verfügt,
kann während des Erkaltens die Behältnisse ab und an drehen
und auf den Kopf stellen.
Dann verteilen sich die Zutaten besser,
so das sich Bratspeck, Zwiebel und
Beifuss
nicht nur am Boden des Behältnisses
absetzen.
Kühl lagern und als bald verzehren.
Rustikal auf frischem Brot, wahlweise klassisch
mit sauerer Gurke
oder unorthodox hübsch mit Mandarinen oder
Walnüssen, belegt.